Sekte oder nicht? |
Wenn man sich einer solchen Gemeinschaft gegenübergestellt sieht, sei es, weil man ihr beitreten will, sei es, weil man Bekannte oder Angehörige hat, die sich zu ihr halten, ist es wichtig, mehr über den Hintergrund dieser Gruppierung zu wissen. Immerhin gibt es auch diverse Sondergemeinschaften und Sekten, die teils nur unter einem oberflächlich christlichen Anstrich firmieren oder zumindest in Teilbereichen bedenklichen Lehren oder Praktiken anhängen.
Dieser Text will Hilfestellung sein, einmal genauer nachzufragen und herauszufinden, ob man es vielleicht mit einer Sekte bzw. Sondergemeinschaft zu tun hat. Dabei sollte berücksichtigt werden, daß viele Gruppierungen ihre "Besonderheit" nicht wie ein Plakat vor sich hertragen, sondern erst mal recht normal erscheinen. Erst im Laufe der Zeit offenbaren sie ihre weniger öffentlichen Seiten.
Gibt es neben der Bibel weitere "besondere Bücher", an die sich die Mitglieder dieser Gemeinschaft halten ? Werden diese gleichberechtigt oder höher gehandelt als die Bibel ? Hat man den Eindruck, daß aus ihnen weit häufiger zitiert wird als der Bibel ? Gehen sie auf eine Persönlichkeit zurück, die nur innerhalb dieser Gemeinschaft als Empfänger einer göttlichen Offenbarung gesehen wird ?
Ein Beispiel sind die Mormonen, die glauben, daß Joseph Smith goldene Platten gefunden hat, die von der Geschichte zu alttestamentlicher Zeit nach Amerika ausgewanderter Juden berichten, und daß Jesus Christus nach seiner Himmelfahrt auch den dortigen Menschen erschienen sei. Das Buch Mormon wird als ein anderer Zeuge für Jesus Christus gesehen.
Wird die richtige Bibelauslegung verbindlich von einem Organ der Gemeinschaft vorgegeben ? Nimmt dieses Organ oder die dahinterstehenden Strukturen die Rolle eines "Sprachrohres Gottes" ein ?
Ein Beispiel sind die Zeugen Jehovas, für die die Wachtturm-Gesellschaft von einer Traktatfirma zu der Instanz aufgestiegen ist, durch die Gott die wahren Christen in der heutigen Zeit führt. Auch gravierende Lehränderungen hin und zurück sind leicht damit zu begründen, daß Jehova neues Licht gegeben hat. Die WT-Gesellschaft übt ein Informationsmonopol auf die Zeugen Jehovas aus: Patzer der Vergangenheit können so als "Ansichten, die einige damals hatten" wegerklärt werden.
Gibt es eine oder mehrere Persönlichkeit(en), die bei der Gemeinschaft auffällig im Mittelpunkt stehen, andernorts aber völlig unbekannt sind ? Stammen fast alle Publikationen der Gemeinschaft von einer einzigen Person oder werden Zitate dieser Person ständig als Beleg im Mund geführt ? Genießen bestimmte Personen eine Autoritätsstellung, die weit über ein (zum Beispiel biblisch) begründbares Maß hinausgeht ? Nehmen sie Unfehlbarkeit für sich in Anspruch oder ist jemand, der ihnen widerspricht, geradezu vom Satan inspiriert ?
Versteht sich die Gemeinschaft als die einzig wahre christliche Gemeinschaft? Sind alle anderen Christen "abgefallen"? Besteht die Aufgabe darin, andere Christen zu missionieren? Wird Dialog und Zusammenarbeit mit anderen Kirchen verweigert oder sehen andere Kirchen wegen der Lehren dieser Gemeinschaft keine Basis für eine Zusammenarbeit?
Beispiele sind wieder die Zeugen Jehovas, für die laut ihrer offiziellen Lehre jenseits der Zeugen Jehovas dieses System der Dinge beginnt, das in Harmagedon untergehen wird - einschließlich der Anhänger anderer christlichen Kirchen, die als "Christenheit" pauschal abgewertet werden. Weiterhin wäre die Gruppierung Sein wunderbares Leben heute (Soli deo gloria) zu nennen, deren vornehmliche Aufgabe es zu sein scheint, unter Christen ihre Gemeindelehre aufzurichten, die dabei jedoch aggressiv vorgehen und Spaltungen in Gemeinden hineintragen.
Werden Mitgliedern von der Führung der Gemeinschaft autoritär Vorschriften gemacht ? Wird Unterordnung in allen möglichen Lebensfragen erwartet, oder Berichterstattung an höherrangige Mitglieder ?
Bedenklich erscheinen hier Gruppierungen, die ein sogenanntes Shepherding-Prinzip (von sheperd: Schafhirte) anwenden, wo sich die "Schafe" in hohem Maße ihrem "Hirten" unterordnen sollen. Ein Beispiel ist die University Bible Fellowship (Universitäts-Bibelfreundschaft, UBF), in der ein sogenanntes "1:1-Bibelstudium" praktiziert wird, das auf einem solchen Schaf-Hirte-Verhältnis aufbaut. Das führt soweit, daß öffentliche Rechenschaften (sogams) abgegegeben werden sollen, die von dem jeweiligen Hirten korrigiert werden.
Werden datierte Hoffnungen für eine unmittelbare Wiederkunft Jesu Christi oder das Endgericht gemacht ? Werden Menschen ausdrücklich ermutigt oder implizit gedrängt, ihre Lebensplanung zu beschneiden, weil das Ende ja kurz bevorsteht ?
Klassisches historisches Beispiel sind wieder die Zeugen Jehovas, bei denen es eine ganze Reihe von geplatzten "Terminen" und enttäuschten Hoffnungen gegeben hat. Aktuelle Beispiele sind von Zeit zu Zeit der Tagespresse zu entnehmen.
Wird erwartet, daß man seine gesamte Freizeit für die Gemeinschaft investiert ? Ist es Zeitverschwendung oder sogar gefährlich, sich für andere Dinge einzusetzen ? Wird dazu ermutigt, seinen Beruf aufzugeben, um sich ganz in den Dienst der Gemeinschaft stellen zu können ?
Wird gefordert, daß man sich mit einem Großteil seiner finanziellen Mittel für die Gemeinschaft einsetzt ? Mittel liquide macht, um sich noch mehr einsetzen zu können ?
Einziger akzeptabler Mittelpunkt für eine christliche Gemeinschaft ist Jesus Christus. Wo etwas anderes seine Stellung eingenommen hat, sei es eine bestimmte Art, Gottesdienst zu feiern, seien es Geistesgaben, sei es die Person des Pastors, wird die Beziehung zu ihm durch etwas anderes verdrängt.
Besteht Christsein in der Gemeinschaft zu einem hohen Teil aus dem Einhalten bestimmter Regeln ? Gibt es festgeschriebene und unausgesprochene Listen, was ein Christ tut und was nicht ? Beruhen diese Listen bei genauerem Hinsehen mehr auf menschlichen Vorstellungen und Vorlieben bzw. Abneigungen als auf biblischer Grundlage ? Ist es eigentlich egal (= würde es gar nicht auffallen), ob jemand wirklich glaubt, solange er sich nur an die Spielregeln hält ?
Gesetzlichkeit ist eine moderne Form des Pharisäertums, in der geistliches Leben unter Regeln erstickt wird. Jesus war für den Geschmack der damaligen Frommen erstaunlich unkonventionell und hat ihre Regeln öfters durchbrochen und hinterfragt.
Maßt man sich in der Gemeinschaft Zusagen an, die von der Bibel her gesehen als fragwürdig erscheinen müssen ?
Ist es zum Beispiel selbstverständlich, daß Gott alle Krankheiten heilen muß, und das sofort ? Hat jemand, bei dem das nicht funktioniert, eben nicht genug geglaubt ?
Ist materieller Wohlstand das Ziel Gottes für jeden Christen ? Ist es geradezu ungeistlich, arm zu sein, und Reichtum ein Erweis für den Segen Gottes ?
© 1997 Frank Bechhaus. Verwendung in elektronischen Medien und in Gemeindebriefen o.ä. Publikationen mit Namensnennung des Autors gerne gestattet, sonstiger Abdruck nur mit ausdrücklicher persönlicher Genehmigung.