Rund um die Bibel 
Zuletzt geändert: 30.08.1997

Überlieferung der Bibel

Einführung

Die Bibel. Immer wieder berufen sich Christen auf dieses Buch, an dem vor nunmehr fast 2000 Jahren, wie sie selbst zugeben, die letzten Zeilen geschrieben worden sind. Seitdem ist es überliefert worden.

Ist das nicht ziemlich gewagt ? Ist die Bibel in der langen Zeit nicht
- immer weiter verfremdet,
- zig mal übersetzt,
- von Machthabern und Kirchenfürsten nach ihrem Gutdünken manipuliert worden ?

Wie kann man diesem Buch nur trauen ?

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist Gegenstand des nachfolgenden Artikels.

Der stille Postbote - ist arbeitslos...

In dem Kinderspiel "stille Post" denkt sich ein Kind eine Botschaft aus.  Diese flüstert es dem nächsten Kind ins Ohr.  Wenn die Botschaft nun auf diese Weise durch eine Reihe Ohren gegangen ist, dann gibt der letzte laut wieder, was ihm gesagt worden ist.  Der Vergleich zwischen der Ursprungsgeschichte und dem, was daraus geworden ist, stellt eine Quelle der Heiterkeit dar.  Ist die Überlieferung der Bibel nicht auch eine Art "stiller Post"?  Immerhin sind die jüngsten Schriften der Bibel knapp 2000 Jahre alt und seitdem immer wieder überliefert worden.

Betrachtet man das Material, das uns heute für die Übersetzung der Bibel  zur Verfügung steht, so ergibt sich eine auf den ersten Blick paradoxe Situation:  Man kann nämlich sagen, daß uns heute weitaus bessere Informationen über den biblischen Text zur Verfügung stehen als den Menschen vergangener Jahrhunderte.
Wie ist das möglich ?

Zahlreiche wichtige Handschriften von biblischen Texten sind erst in den letzten zwei Jahrhunderten entdeckt worden, teilweise sogar erst in diesem Jahrhundert. Darunter fallen

Wer sich für Details interessiert, der wird in Nachschlagewerken wie RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart) oder TRE (Theologische Real-Enzyklopädie) eine detaillierte und umfangreiche Auflistung finden.  Erwähnenswert erscheinen mir im Zusammenhang dieser Aufzählung noch der  Codex Bezae Catabrigensis und der Codex Ephraemi Syri rescriptus.

Bereits an dieser Stelle müssen wir offensichtlich einen Anfangsverdacht begraben:  Haben wir bereits nahezu vollständige Abschriften der Bibel aus antiker Zeit, dann fällt damit eine Verfälschung im Mittelalter aus.  Der Zeitraum von 2000 Jahren ist damit schon erheblich geschrumpft - für die Schriften des Neuen Testaments auf lediglich 300 bis 400 Jahre.

Immer noch eine Menge Zeit...

Richtig, aber wir sind auch erst am Anfang der Reise... Kleinere, aber wichtige Handschriftenfunde bringen uns noch näher an die Entstehung der Schriften heran:

Einschub: In jüngerer Zeit ist in Diskussion gekommen, ob ein in Qumran gefundenes Fragment aus dem Markus-Evangelium stammen könnte - was eine absolute Sensation wäre, weil es damit vor 70 n.Chr. datieren würde - oder ob eine andere Handschrift sich in einen ähnlich frühen Zeitraum datieren läßt. Hier ist jedoch der Stand der Diskussion zu wenig fortgeschritten, um von Ergebnissen sprechen zu können.

Die kleineren Fragmente erlauben natürlich nur stichprobenhafte Einblicke die Überlieferung neutestamentlicher Texte. Dafür verringern sie die zeitliche Distanz aber weiter.

Hinzu kommen Schriftfunde von frühen Übersetzungen in andere Sprachen, die den Bestand an Handschriften weiter erhöhen. Weiterhin haben die sog. Kirchenväter in den ersten Jahrhunderten in ihren Schriften fleißig aus der Bibel zitiert, so daß allein aus diesen Zitaten ein Teil des Neuen Testaments erschlossen werden kann - und liefern damit zusätzliche Überprüfungsmöglichkeiten.

Verschobene Maßstäbe

Nach diesen Einblicken in die Überlieferungssituation der Bibel stellen wir nun einen Vergleich mit anderen antiken Schriften an.  Wie gut schneidet die Bibel in einem solchen ab?


Von... ...existieren... Ergibt ca.:
Aristoteles 
(384...322 v.Chr.)
5 Handschriften 
früheste 1100 n.Chr.
1400 Jahre Distanz
Cäsars >Gallischem Krieg< 
(58...50 v.Chr.)
ca. 10 gute Manuskripte 
früheste ab 800 n.Chr.
900 Jahre Distanz
Plinius der Jüngere 
(61...113 n.Chr.)
7 Abschriften 
früheste ab 750 n.Chr.
750 Jahre Distanz
Sueton (Leben der Cäsaren) 
(75...160 n.Chr.)
8 Abschriften 
früheste 800 n.Chr.
800 Jahre Distanz

Es zeigt sich, daß man bei anderen antiken Texten bekannter Verfasser in der Regel mit weitaus weniger Material auskommen muß und der zeitliche Abstand um Größenordnungen über dem liegt, was man von den biblischen Texten gewohnt ist. Dennoch wird die Bibel gerne bezweifelt - es werden weitaus höhere Maßstäbe angesetzt als es nach fachlichen Gesichtspunkten nötig oder angemessen wäre.

Will man bei der Bibel von einer unzureichenden Quellenlage sprechen, müßte man im Gegenzug die gesamte Forschung an Texten aus der Antike ad acta legen. Und legt man im Gegenzug die Maßstäbe solcher Forschung zugrunde, kann man die Bibel nur als exzellent überliefert bezeichnen.

Anfänge

Nach der Betrachtung der uns vorliegenden Frage ist es natürlich interessant, wie und wann die Texte denn nun entstanden sind.

Die erste Überlieferung wurde von den Aposteln getragen, also den Menschen, die von Anfang an Augenzeugen gewesen waren. Diese Zeugenschaft war auch für die Alte Kirche bei der Beurteilung der Autorität ein wichtiges Kriterium. Sie war bei der Nachwahl eines Apostels nach dem Tod des Judas entscheidend: "Wir brauchen also einen aus unserer Mitte, der mit uns zusammen bezeugen kann, daß Jesus, der Herr, auferstanden ist. Es muß einer sein, der von Anfang an dabei war und alles miterlebt hat, was Jesus tat und lehrte, von der Zeit an, als er sich von Johannes taufen ließ, bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde." (Apostelgeschichte 1,21-22)

Aus dieser Zeit liegen noch keine Schriftfunde vor. Daraus darf jedoch nicht gefolgert werden, daß es keinerlei schriftliche Aufzeichnungen gab. Jeder Schriftfund aus antiker Zeit ist ein Glückstreffer, und die Chance, ein Original-Schriftstück aufzufinden, ist verschwindend gering. Wie sich aus archäologischen Funden zeigt, hatte man sogar schon antike "Notiztäfelchen". Der Autor des Lukasevangeliums schreibt: "Schon viele haben versucht, die Ereignisse darzustellen, die Gott unter uns geschehen ließ und die wir durch die Berichte der Augenzeugen kennen, die von Anfang an alles miterlebten und den Auftrag erhielten, die Gute Nachricht weiterzugeben." (Lukas 1,1-2)

Die ersten größeren Schriften sind die Briefe des Paulus die in den 50er Jahren einsetzen. Paulus wendet sich an Gemeinden, die er teils selbst gegründet hat, und geht auf ihre Fragen und Probleme ein. Seine Briefe lassen sich anhand seines Lebenslaufes und eines historisch verifizierten Vergleichsdatums, der Amtszeit des Statthalters Gallio, recht gut datieren.

Die vier Evangelien sind später entstanden. Die genaue Datierung wirft dabei Probleme auf. "Frühe" Schätzungen setzen in den 60er Jahren ein, während der theologische Mainstream eher die 70er bis 80er Jahre annimmt. Die Grundlage solcher Datierungen sind jedoch Argumentationen, die hinterfragt werden können. (Wenn beispielsweise argumentiert wird, daß ein Evangelium nach der Zerstörung Jerusalems geschrieben worden sein, weil diese Zerstörung - 70 n.Chr. - darin beschrieben ist, geht man dabei mit der Prämisse an den Text heran, daß die im Text als Prophetie angekündigte Zerstörung nachträglich eingefügt worden sei. Eine solche Annahme beruht jedoch auf keiner wirklichen Grundlage, sie ist lediglich eine Annahme, deren Berechtigung zweifelhaft ist.) Das Evangelium des Johannes wird auf die 90er Jahre datiert. Was noch nicht automatisch dagegen spricht, daß es von Johannes geschrieben wurde, da dieser tatsächlich mit einem hohen Alter gesegnet wurde, er lebte laut einer frühkirchlichen Quelle bis in die Zeit des Kaisers Trajan (98-117 n.Chr.).

Fazit

Wer die Bibel unbedingt bezweifeln möchte, wird dafür immer Gründe finden.

Wer jedoch bereit ist, die uns vorliegende Überlieferung zu prüfen und dabei "gerechte" Maßstäbe anzulegen, die er auch an andere antike Literatur anlegen würde, kann zu dem Ergebnis kommen, daß sie uns glaubwürdig überliefert ist. Wie sich zeigt, bleibt von der langen Zeit von 2000 Jahren wenig Zeit übrig, die wirklich durch Überlieferung überbrückt werden mußte, Zeit, in der aber auch noch Augenzeugen zur Verfügung standen. Das Neue Testament ist natürlich eine Übersetzung, aber nicht "zigmal", sondern aus dem griechischen Grundtext. Das Mißtrauen in mittelalterliche Machthaber und Kirchenfürsten war ausnahmsweise mal unberechtigt.

Es gibt eine Grundlage dafür, der Bibel zu trauen.