Sind
Evangelisationen notwendig? |
Zuletzt
geändert: 06.04.1998
Auf der Suche nach dem Besucher...
Ob es sich nun um kleine oder um große Evangelisationen handelt:
Eine Grundfrage ist immer, ob und wie sich Menschen dazu einladen lassen,
die sich potentiell für den christlichen Glauben interessieren.
Auch wenn es dem einen oder anderen Gemeindeglied gefallen wird, sich einige
Abende am Stück erbauliche Vorträge anzuhören: Es
gibt aus evangelistischer Sicht eigentlich nichts Enttäuschenderes,
als eine Evangelisation zu veranstalten, und dort nur vertraute Gesichter
anzutreffen.
Irgendwie läuft da etwas in der Abstimmung schief: Man sollte
sich besser darauf verständigen, ob man nun tatsächlich eine
Evangelisation will, oder lieber eine Vortragsreihe für die
Gemeinde. Im letzteren Fall wäre es dann auch möglich,
den Referenten und die Themen geeignet auszusuchen. Wenn gestandene
Gemeindeglieder mit teils jahrzehntelanger Mitgliedschaft abend für
abend eingeladen werden, ob sie nicht mit Jesus anfangen wollen, ist das
ja auch nicht unbedingt der Sinn der Sache.
Aber auch wenn eingeladen wird: Nach meinen Erfahrungen ist es
oft so, daß der weit überwiegende Teil des Publikums von den
"vertrauten Gesichtern" gebildet wird, und nur eine kleine Handvoll Interessierter
dazustößt.
Einladend?
So vertraut es einem Gemeindeglied erscheinen mag: Für einen
Nichtchristen ist die Gemeindewelt eine mehr oder weniger völlig unbekannte
Größe. Dazu wird in den Medien, in letzter Zeit vermehrt,
immer wieder vor Sekten gewarnt. Oft gibt es den Dreiklang "evangelisch,
katholisch, dubios". Da wird er nun dazu eingeladen, zu irgendeiner Kirche
zu gehen, von der er vorher vielleicht noch nie etwas gehört hat,
und sich dort Vorträge anzuhören. Also entweder er ist
sehr experimentierfreudig oder bereits sehr interessiert daran, mehr über
den christlichen Glauben zu erfahren. Oder es ist nachvollziehbar,
wenn er er sich dort lieber nicht sehen läßt.
Insbesondere die Wirksamkeit "unpersönlicher" Einlademethoden wie
Handzettel und Plakate würde ich deshalb nur als mäßig
hoch einschätzen. Und das, obwohl ich selbst durch ein solches
Plakat auf meine Gemeinde gestoßen bin? Ja: Ich war nämlich
zu der Zeit bereit Christ, hatte eine Entscheidung für den Glauben
getroffen, es fehlte mir nur noch an anderen Christen, zu denen ich Gemeinschaft
haben konnte. Obwohl ich "evangelisch-freikirchliche Gemeinde" auch nicht
recht einschätzen konnte, war die Hemmschwelle doch bereits viel geringer.
Dreh- und Angelpunkt bei Einladungen sind meiner Meinung nach...
Beziehungen
Wenn unpersönliche Formen der Einladung nicht oder kaum funktionieren,
ist es offenbar doch notwendig, daß Christen in persönlichem
Kontakt zu Menschen stehen. Bei völlig Unbekannten, "Wildfremden",
so entsteht wieder das Problem des Mißtrauens: "Wo soll ich
da jetzt hingeführt werden?" Ich schätze die Hemmschwelle
für einen Nichtchristen, beispielsweise durch die Tür einer freikirchlichen
Gemeinde zu treten, als ziemlich hoch ein.
Besser ist es also, wenn man sich persönlich kennt.
Ein kurzer Satz nur, und doch hat er so seine Folgen:
-
Viele Christen haben sich die Woche so mit Gemeindeveranstaltungen zugeplant,
daß beispielsweise für Freizeitaktivitäten mit Nichtchristen
überhaupt kein Platz mehr bleibt. Schließlich gibt es
ja schon Gottesdienst, Bibelstunde, Chor, Hauskreis - und die christlichen
Bekannten sollen ja auch nicht zu kurz kommen. Ob gewollt oder nicht
- sie "tauchen in der Gemeinde ab". Nichtchristen bekommen bestenfalls
noch ihr alltägliches Gesicht zu sehen, echte Kontakte, Freundschaften,
sind rein zeitlich gar nicht mehr möglich.
-
Wenn sich ein Mensch sich vom Glauben eingeladen fühlen soll,
muß er meiner Meinung nach auch einladend sein. Das heißt,
entweder ein Christ überzeugt durch sein Leben oder gar nicht.
Denn die dort ausgesandten Botschaften sprechen viel lauter und viel deutlicher
als Worte es jemals könnten. Die allerschlimmste Wirkung
dürfte eine "Evangelisationsfreundlichkeit" haben, die jeweils
einige Wochen vor einer Veranstaltung einsetzt...
-
Christen werden schwerlich darum herumkommen, auch mal selbst einige Worte
über ihren Glauben zu verlieren. Es ist eine beschämende
Tatsache, daß sich viele Christen dazu nicht in der Lage sehen.
Vielleicht liegt es daran, daß es für sie eine so tiefgehende
und wichtige Angelegenheit ist, daß sie nie gelernt haben, sich so
weit zu öffnen, diese Erfahrungen - auch der Hinterfragung und schlimmstenfalls
dem Spott - preiszugeben. Leider führt hier wie bei
so vielen anderen Dingen kein Weg am learning by doing vorbei
- es wird nur dann leichter, wenn man anfängt, es selbst zu
tun. Übrigens sind weder Bibelverse noch Argumentationen
besonders überzeugend, wenn diese einfach nur auswendiggelernt wurden
und jemand nicht sagen kann, was er selbst darüber denkt.
Fast überflüssig?
Würden alle Christen ihren Glauben so überzeugend, so aussagekräftig
leben, daß es ihrer nichtchristlichen Umgebung auffällt, könnten
alle Christen so prägnant und lebendig über ihren Glauben - der
ja den Überzeugungskern ihres Lebens bildet - reden, daß der
Funke überspringt, dann wären Evangelisationen fast überflüssig.
Dann könnte man sich auch einfach so mit seinem Nachbarn zusammensetzen
und über die Grunddinge des christlichen Glaubens reden, wenn sich
die Situation ergeben hat.
Eine provokante These, vielleicht. Aber ich denke, daß sie
sich trotzdem so aufstellen läßt. Sicher ist nicht jeder
Christ ein begnadeter Evangelist. Begnadet kommt nämlich wirklich
von Gnade. Evangelisation gehört zu den Gnadengaben (Charismen),
mit denen nicht jeder Mensch gesegnet ist.
Aber die Aufgabe, als Salz nicht im Salztopf liegen zu bleiben, sondern
in die "Suppe" der Welt gestreut zu werden, haben alle Christen.
Leider ist es im Salztopf mitten unter den anderen Salzkörnern oft
so bequem...